Wertminderung ohne Werkstattbesuch? – Die merkantile Wertminderung in der Judikatur
Daniel Ulrich/14.07.2025
Ein unverschuldeter Verkehrsunfall ist schnell passiert. Am Fahrzeug ist ein Schaden entstanden – aber was, wenn man sich gegen eine Reparatur entscheidet? Wird beim Verkauf eines unreparierten Unfallfahrzeugs eine merkantile Wertminderung ersetzt?
Die Geltendmachung der merkantilen Wertminderung zählt zu den regelmäßig auftretenden Aspekten im Zusammenhang mit der Regulierung von Unfallschäden an Kraftfahrzeugen. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, ob dem Geschädigten ein Anspruch auf Ersatz der merkantilen Wertminderung vom schuldigen Unfallgegner auch dann zusteht, wenn das beschädigte Fahrzeug nicht repariert, sondern etwa in unrepariertem Zustand verkauft wird.
Was ist eine merkantile Wertminderung?
Unter der merkantilen Wertminderung versteht man jenen Vermögensschaden, der dadurch entsteht, dass eine Sache – in der Praxis am häufigsten Kraftfahrzeuge – nach einer Beschädigung zwar vollständig und fachgerecht repariert wurde, auf dem Markt aber dennoch zu einem geringeren Preis gehandelt wird als eine vergleichbare, unbeschädigte Sache. Ursache hierfür ist das „Misstrauen und Unbehagen“, in den Worten des Obersten Gerichtshofs (OGH) die „rein gefühlsmäßige Abneigung“, des Käuferpublikums gegenüber reparierten Unfallfahrzeugen. Selbst eine technisch einwandfreie Reparatur kann dieses Misstrauen nicht vollständig beseitigen.
Historische Rechtsprechung: Anspruch auch ohne Reparatur
Werfen wir einen Blick zurück: In der älteren Judikatur des Obersten Gerichtshofs (OGH) (8 Ob 42/80; 8 Ob 172/82) wurde über Jahrzehnte hinweg der Ersatz von „fiktiven Reparaturkosten“ und merkantiler Wertminderung grundsätzlich bejaht und zwar unabhängig davon, ob die Reparatur tatsächlich durchgeführt oder das Fahrzeug in beschädigtem Zustand verkauft wurde. Es wurde die Auffassung vertreten, dass es Sache des Geschädigten sei, wie er den ihm als Schadensgutmachung zustehenden Betrag verwende. Diese Ansicht wurde von der Rechtslehre kritisiert.
Der Paradigmenwechsel: OGH 2 Ob 13/84
Mit der Entscheidung des OGH vom 10. April 1984, 2 Ob 13/84 (ZVR 1984/344), vollzog der OGH eine weitgehende Abkehr von dieser traditionellen Linie. Die Entscheidung stellte klar: Wird das beschädigte Fahrzeug nicht repariert, steht naturgemäß auch kein Ersatz der merkantilen Wertminderung zu. Der Kern der Begründung liegt im Ausgleichsgedanken des Schadenersatzrechts: Der Schadenersatzanspruch hat den Zweck, dem Geschädigten einen Ausgleich für die erlittene Einbuße zukommen zu lassen, ohne ihn zu bereichern.
Der Zuspruch von fiktiven Reparaturkosten und merkantiler Wertminderung würde in einem solchen Fall, wenn das Fahrzeug unrepariert verkauft wird und der Erlös plus die geforderten Reparaturkosten und der Ersatz der merkantilen Wertminderung den objektiven Minderwert des Fahrzeuges übersteigen, zu einer ungerechtfertigten Bereicherung des Geschädigten führen.
In der Literatur wird dies außerdem auch damit begründet, dass die für die merkantile Wertminderung charakteristische Situation – nämlich, dass ein repariertes Fahrzeug am Markt einen geringeren Preis erzielt – gar nicht erst eintritt, wenn keine Reparatur vorgenommen wird (so Reischauer in Rummel, ABGB3 § 1332, Rz 16).
Aktuelle Judikatur: Reparatur als Voraussetzung
Die Linie des OGH wird in der aktuellen Rechtsprechung konsequent fortgeführt und bestätigt: Eine merkantile Wertminderung beim Verkauf eines unreparierten Fahrzeuges nicht zuerkannt (2 Ob 11/96).
Fazit:
Ein Anspruch auf Ersatz der merkantilen Wertminderung beim Verkauf eines unreparierten Fahrzeuges besteht nach der aktuellen österreichischen Rechtsprechung grundsätzlich nicht.